Das nunmehr 7. Berliner Hörspielfestival konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Schnurstracks haben wir uns den dreitägigen Festivalpass gesichert und haben uns aufgemacht in die Hauptstadt. Im Theaterdiscounter in der Klosterstraße fand die Veranstaltung für Hörspielliebhaber statt; einem Ort mitten in Berlin und doch ist er leicht versteckt und bleibt so manch einem verborgen.
Drei Tage, jeweils ab 18:30 Uhr gab es mehr als nur Hörspiel auf die Ohren – wir waren ziemlich gespannt!
Festival-Freitag
Der Festival-Freitag begann mit zwei langen Hörspielstücken: Born to Work von Stefanie Heim und Draußen im Watt leg ich dich hin von Dominik Busch. Beide Stücke waren für die Kategorie Das lange brennende Mikro (Gesamtspiellänge von 20 bis 60 min) nominiert. Für uns hätte der Einstieg in das 7. Berliner Hörspielfestival nicht besser laufen können.
In dem fast 60-minütigen Stück von Stefanie Heim wird das Thema Schichtarbeit in der Logistikbranche und deren Folgen thematisiert. Es geht um Geld, Kapitalismus, den Einsatz von Maschinen und vor allem darum, wie Menschen in Unternehmen physisch und psychisch ausgebeutet werden und was sich daraus für Folgen für den Schichtarbeiter, den Menschen dahinter, ergeben. Alles in allem ein faszinierendes Stück, das den Hörer mit einer ordentlichen Portion Demut zurücklässt.
Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Monotonie und Fremdbestimmung in Arbeitsprozessen. Basiert auf Schlüsselerlebnissen der Autorin in einer surrealen Lagerwelt.
Draußen im Watt leg ich dich hin mit einer Laufzeit von 41min52 geht in eine komplett andere Richtung. Das Hörspiel von Dominik Busch dreht sich um das Leben von Anne, Max und Tom. Anne ist schwer an Krebs erkrankt, Max ist Chefarzt, Tom Umweltaktivist. Letzterer hat seine Frau durch eine schlimme Krankheit verloren. Er sagt sich drei Jahre nach ihrem Tod, wenn er diesen speziellen Fall vor Gericht nicht gewinnt, würde er sich bei Ebbe ins Watt legen und auf die Flut warten. Max bemerkt, wie es seiner Frau von Tag zu Tag schlechter geht – er möchte allerdings nicht wahrhaben, dass sie krank ist. Anne überlegt, die Pille abzusetzen und fragt sich, ob es schlimm wäre, wenn sie ihrem Mann davon nichts erzählen würde.
Draußen im Watt leg ich dich hin dreht sich um zwei Parallelgeschichten bzw. -welten, die am Ende im Wattenmeer wieder aufeinander treffen. Max ist dabei, sich und seine Frau umzubringen. Als er erfährt, dass diese schwanger ist, kommt Tom vorbei, der sich ebenfalls umbringen möchte. Es scheint, als sei es bereits zu spät – sowohl für Max als auch für Anne -, doch dann entscheidet sich Tom dafür, zu helfen. Eine ziemlich skurrile Geschichte – doch am Ende geht sie doch fast gut aus …
Wenn ich morgen verliere, bringe ich mich um, denkt Tom. – Darf eine Frau die Pille absetzen, ohne ihrem Mann etwas zu sagen? fragt sich Anna. – Es gibt Leichteres, als einen Menschen zu töten, den man liebt, findet Max …
Anschließend wurde Der MikroFlitzer verliehen. Aufgabe war es, die Titelseite der TAZ bzw. deren Schlagzeilen/Überschriften in ein Hörspiel mit einer maximalen Dauer von einer Minute unterzubringen. 14 Hörspiele waren nominiert. Die Zuschauer durften schlussendlich per Applaus den Gewinner bestimmen. 14 Hörspiele wurden gehört – zwar waren sie von den Titeln und Schlagzeilen fast ähnlich, doch vom Stil her hätten sie unterschiedlicher nicht sein können. Der MikroFlitzer ist eine sehr interessante und schnelllebige Kategorie. Gewonnen hat dabei das Stück „Lux“ von Niki Matita mit einer Länge von genau 60 Sekunden.
Lux ist ein Obdachloser. Er fährt mit der U2 Richtung Theodor-Heuss-Platz und integriert in seiner U-Bahn-Rede die Schlagzeilen der TAZ vom 1. April. Unter’m Strich eine authentische und lustige Art und Weise, die Aufgabe für die Kategorie Der MikroFlitzer umzusetzen!
Das letzte Hörstück am Festival-Freitag war Die Sternensaat von Max Lange – nominiert für Das lange brennende Mikro. Leider waren die Ohren der kassettenbox zu diesem Zeitpunkt (22:30 Uhr) schon etwas lädiert und müde. Nichtsdestotrotz können wir sagen, dass Die Sternensaat für Science-Fiction-Fans ein unbedingtes Must-Listen ist! Wir hören es uns auf jeden Fall nochmal an.
Dystopisches Sci-Fi-Hörspiel, das sich mit idelogischen und sozialen Umbrüchen in Deutschland des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. Stockhausen meets Nietzsche meets Hippies im Weltraum.
Festival-Samstag
Tag 2 sollte ein Festivaltag mit vielen kürzeren Hörspielen werden. Zunächst hörten wir ein Hörspiel von Georg Smalehans mit dem Titel Wer lacht wird erschossen! Mit starker Stimme und intensiver Atmung wurde von Smalehans vorgetragen, was ihn dazu bewegt, Hörspiele zu machen, bei welchen Wettbewerben er teilnimmt und weshalb. Ein Hörspiel über das Hörspiel mit einer sehr düsteren und rauen Stimme. Ebenfalls für die Kategorie Das lange brennende Mikro nominiert.
Es wird der Kampf um und die Suche nach Bedeutung – auch mit dem Körper – geführt. Bis die Luft wegbleibt. Und vielleicht ein kleines Stück darüber hinaus. Helene F. war gestern.
Im Anschluss wurden zehn Beiträge für Das kurze brennende Mikro gehört. Für diese Kategorie galt es, ein Hörspiel in der Länge von 5 bis 20 Minuten einzusenden. Verschiedenste Arten kamen uns dabei zu Ohren: Von Lügen, Natur, Griechen in der Krise über Fabelgeschichten und das Thema Verschwendung konnten sich die Zuhörer berieseln lassen. Auch in dieser Kategorie durfte das Publikum wieder entscheiden. Unsere Favoriten waren dabei Structures of Nature von Martin Gerigk:
Eine Hörcollage aus Textsequenzen und Klängen, die durch mikro- und makroskopische Strukturen der Natur führen. Ein sinnlicher Rundgang durch filigrane innere Landschaften.
sowie Verschwendung von Antje Meichsner:
Verschwendung als Gegenstrategie gegen die protestantische Ethik und Leistungsdruck wandelt sich in neoliberalen Formen der Lebensstilfindung: Selbstoptimierung, Hedonismus, Identität durch Konsum.
Das Hörspiel mit einer Dauer von 10min22 ging schlussendlich als Sieger hervor. Herzlichen Glückwunsch!
Dann gab es ein Feature von friendly fire mit dem Titel Preface: Demonstration auf die Ohren, das zeigen wollte, wie Protest am Beispiel von Anti-Legida-Demonstrationen klingt – lediglich mit der musikalischen bzw. geräuschvollen Kulisse in Leipzig während besagter Demonstrationen.
Wie klingt Protest? Wie bringt er die Verhältnisse zum Tanzen? Eine Collage aus Chören, Pfiffen, Lachen, Perkussion, Ambient und Noise während der Anti-Legida-Demonstrationen.
Festival-Sonntag
Der letzte Festivaltag begann mit einem knapp einstündigen Hörspiel von Noah Sow mit dem Titel Radio Meta (Dauer: 59min50):
Noah Sow spricht und singt vier erfundene Formatradiosender: Nachrichten, katastrophale Interviews, Musiktitel … Schwarzer Humor meets Auflaufenlassen von Unterhaltungsmedien.
Wenn man gerade mal nicht lacht, regt das Hörspiel zum Nachdenken an. Es ist dahingehend sehr vielfältig und macht einfach nur Spaß! Besonders ist eben auch, dass die Künstlerin alle Figuren und Inhalte selbst spricht. Das muss man erst einmal können.
Nach diesem tollen Hörerlebnis wurden elf Hörspiele aus der Kategorie Das glühende Knopfmikro mit einer Länge bis fünf Minuten gehört. Unsere Favoriten waren dabei vor allem Gegen das Gefrorene von Jurate Braginaite:
Eine Stimme, die sich für die Einsamkeit ausspricht
sowie s/t von Stephan Roiss. Dieses Hörspiel ist ein Hörspiel von und mit Stephan Roiss. Das Hörspiel selbst handelt lediglich davon, welche Aufgaben Stephan Roiss für dieses Hörspiel eingenommen hat – und das waren allerhand! Stephan Roiss hat mit seiner Arbeit immerhin den 2. Platz belegt.
Den ersten Platz haben Frank Schültge & Christian Berner mit Annette, Rolf und der Gesprächsbedarf abgesahnt. Dieses Hörspiel zeichnet sich dadurch aus, dass es von Computerstimmen ohne jegliche Emotion eingesprochen wird. Annette und Rolf haben eheliche Probleme und gehen daher zum Paartherapeuten. Ein sehr monotones (zumindest stimmlich betrachtet), aber auch sehr lustiges Hörspiel!
Das letzte Hörspiel des 7. Berliner Hörspielfestivals war ebenso für Das lange brennende Mikro nominiert: Aber trotzdem, trotzdem, der Vater war mir immer der Vater. Väter und Söhne von Inés Burdow:
Väter und Söhne – ein universelles Thema – zwischen Konflikt und Liebe, Konkurrenz und Loslassen. Eine Collage.
Bei diesem Stück sprechen fünf erwachsene Männer über ihre Erfahrungen und ihr Verhältnis zu ihren Vätern. Es verbindet sie soweit nichts miteinander, außer die Tatsache, dass sie Kriegskinder waren. Manchmal kann man schmunzeln, grundsätzlich stimmt dieses Stück einen aber doch eher nachdenklich. Wir empfanden dieses Stück in jedem Fall als hörenswert!
Zuletzt wurde der Jurypreis für das beste Hörspiel in der Kategorie Das lange brennende Mikro verliehen. Gewonnen hat Dominik Busch mit Draußen im Watt leg ich dich hin. Die Begründung der Jury könnt ihr unter folgendem Link nachlesen.
Unser Fazit
Wir waren das erste Mal auf dem Berliner Hörspielfestival und können sagen: Es lohnt sich definitiv! Wir haben viele tolle Eindrücke und Ohrenblicke gehabt und konnten vielen faszinierenden oder/und auch skurrilen Geschichten lauschen, die definitiv zum Nachdenken angeregt haben. Die vier verschiedenen Hörspielkategorien haben für angemessene und interessante Abwechslung gesorgt. Die Erkenntnis, die uns das ganze Wochenende begleitet hat, war: das freie Hörspiel lebt! Nächstes Jahr sind wir bestimmt wieder dabei! Du auch?
Hörspielliste
Hier findet ihr alle Hörspiele und Features, die wir an diesem Wochenende gehört haben. Die jeweils türkis-markierten Hörspiele sind aus der entsprechenden Kategorie als Sieger hervorgegangen.
Der MikroFlitzer (bis 1 Minute) | ||
Hörspieltitel | Dauer | Macher/in |
Sind Wahlen wirklich nötig? – Abär sischer | 1min | Thommi Baake |
Spiderman | 0min59 | Eva-Maria Baumeister |
Wahlen sind nötig | 1min | Matthias Baxmann |
Walen | 0min54 | Ennolgaki |
Kundus | 0min57 | Dietmar Füssel |
Maries Geburtstag | 1min | Chrizzi Heinen |
Heimatfront | 1min | HörFix 23 |
terra gotta 3 | 0min58 | Hans Kämmerer |
Graded | 0min59 | Samir Khoury |
Lux | 1min | Niki Matita |
Das Dorf der Schlepper | 1min | Owl yeah |
Ab heute wird geschleppt | 0min57 | Anja Penner |
Flammenko | 0min54 | Stephan Roiss |
Kongo Bongo | 0min46 | Robert Schoen |
Das glühende Knopfmikro (bis 5 Minuten) | ||
Hörspieltitel | Dauer | Macher/in |
Die Peter-Neururer-Jugend | 3min34 | Friedemann Dupelius |
Es ist der Alltag | 4min53 | Armin Chodzinski |
Ich suche meinen Vater | 3min02 | Mariola Brillowska |
Gegen das Gefrorene | 2min36 | Jurate Braginaite |
Der Schuldenbuckel | 4min25 | Robert Schoen |
verebben der wörter | 4min25 | Blablabor |
Zurück – ein Miniaturhörspiel | 3min12 | Maria Antonia Schmidt |
Annette, Rolf und der Gesprächsbedarf | 5min | Frank Schültge & Christian Berner |
Demon says | 4min59 | Owl yeah |
faire de paris | 0min50 | Georg Smalehans |
s/t | 3min15 | Stephan Roiss |
Das kurze brennende Mikro (5 bis 20 Minuten) | ||
Hörspieltitel | Dauer | Macher/in |
Nicht mit uns! | 13min14 | Matthias Abel |
Lügen haben krumme Beine | 13min06 | Matthias Baxmann |
Structures of Nature | 16min16 | Martin Gerigk |
a destruction that cannot go back | 16min51 | Mia Frimmer |
Herbert Stencil und V | 11min39 | Ralf Haarmann |
Verschwendung | 10min22 | Antje Meichsner |
Bartleby – Der Schreiber | 10min | Nick Lehmann |
Sekundenschlaf – eine Radiowellen-Navigation | 11min33 | Leo Hofmann & Anastasia Ioannidis |
Als der Fuchs dem Hasen gute Nacht sagte | 18min14 | Hanna Romanowsky |
The Great Groheinz | 8min07 | Markus Riexinger |
Das lange brennende Mikro (20 bis 60 Minuten) | ||
Hörspieltitel | Dauer | Macher/in |
Born to work | 59min14 | Stefanie Heim |
Draußen im Watt leg ich dich hin | 41min52 | Dominik Busch |
Die Sternensaat | 43min19 | Max Lange |
Wer lacht wird erschossen! | 20min22 | Georg Smalehans |
Preface: Demonstration | 23min03 | friendly fire |
Radio Meta | 59min50 | Noah Sow |
Aber trotzdem, trotzdem, der Vater war mir immer der Vater. Väter und Söhne | 30min32 | Inés Burdow |
Die Zitate wurden aus dem Programmheft des 7. Berliner Hörspielfestivals entnommen.